Eltern, die für kürzere oder längere Zeit ins Ausland ziehen, machen sich oft Gedanken, wie sie das Deutsch ihres Kindes auch im fremdsprachigen Umfeld fördern und den Schriftspracherwerb unterstützen können. Nicht jede Familie findet am neuen Wohnort eine Schule vor, an der Deutsch unterrichtet wird. Wer seine Kinder auch während eines Auslandsaufenthalts in Deutsch fördern möchte, hat trotzdem einige Möglichkeiten:
1) Lesen, vorlesen, gemeinsam schmökern
Lesen steht auf dieser Liste nicht von ungefähr ganz oben, denn bei Lesen geschieht im kindlichen Gehirn unheimlich viel: der Wortschatz wird erweitert, regelrechte Grammatik wird auditiv und/oder visuell aufgenommen und abgespeichert (die Kinder wissen später, wie etwas richtig ist, ohne erklären zu können, woher sie dieses Wissen haben), die Phonem-Graphem-Korrespondenz wird trainiert und damit die richtige Rechtschreibung unbewusst verinnerlicht. Nicht zu vergessen, dass gemeinsam schmökern einfach Spaß macht, bildet, beziehungsfördernd ist und die deutsche Sprache damit positiv besetzt wird.
Ganz besonders gut gefällt mir persönlich das kostenlose Online-Angebot von amira-lesen.de :
In verschiedenen Schwierigkeitsstufen können Kinder Bücher lesen oder sich vorlesen lassen und gleichzeitig mitlesen. Am Ende gibt es zu jedem Buch ein kleines Quiz zur Überprüfung des Leseverstehens und zur Vertiefung von Wortschatz und Rechtschreibung.
2) Hören
Zuhören kann eine wunderbar beruhigende Aktivität und ein spannender Zeitvertreib sein. Wer deutschsprachige Musiktexte oder auf Deutsch erzählte Geschichten hört, befindet sich ganz unmittelbar im Sprachtraining. Wir hören auf langen Autofahrten sehr gern Audiobücher – dabei vergeht die Zeit wie in Flug, wir lachen und staunen und haben am Ende das Gefühl, die Zeit gut genutzt zu haben. Gute Audiobücher gibt es im Buchhandel bzw. über Buchverlage zu kaufen und auch online zu finden: bei Audible, Spotify oder auf Youtube. Auch die Homepage des Goethe Instituts, ohrenbaer.de und die Tonie Box sind prima Möglichkeiten, Deutsch „auf die Ohren“ zu bekommen.
3) Sehen
Wenn ich als Lehrerin bei Elterngesprächen manchmal vorschlage, dass Kinder öfter fernsehen sollen, ernte ich oft verwunderte Blicke. Genau dies ist jedoch eine äußerst wirksame Lernmethode, wenn es darum geht, dass Kinder im Ausland ihre Deutschkenntnisse verbessern. Aus der Lernforschung wissen wir, dass unser Gehirn am besten lernt, wenn es etwas sieht und gleichzeitig hört oder wenn wir etwas praktisch umsetzen. Beides ist beim Fernsehen möglich – die Kinder hören korrekt gesprochenes und gut artikuliertes Deutsch und lernen (ohne es bewusst zu merken) neue Vokabeln z.B. aus dem naturwissenschaftlichen Bereich. Ideal sind hier Sendungen wie Löwenzahn, die Sendung mit der Maus, Checker Toby / Checker Julian mit ChefXpedition, Willi will’s wissen oder Anna & die wilden Tiere. Die LOGO Kindernachrichten sind prima und informativ und GEOlino-TV finden selbst wir Erwachsene interessant. All diese Programme kann man auf den Sendungs-Webseiten im Internet oder auf YouTube finden. ARD und ZDF haben in den letzten Monaten auch einige sehenswerte Sendungen als Bildungsfernsehen für die Coronazeit produziert, die sich prima für die Wortschatzerweiterung eignen und über die jeweilige Mediathek abrufbar sind.
Ideal wäre hier natürlich, das gemeinsame Fernsehen zum Familien-Event zu machen und dabei oder auch später über Gesehenes zu reden bzw. Meinungen austauschen.
4) LernApps
Das Sehen/Lesen/Hören können Kinder natürlich auch mit Online LernApps trainieren. Ich arbeite im Klassenzimmer z.B. sehr gern mit der von der EU gesponserten (und daher kosten- und werbungsfreien) LernApp ANTON, mit der die Kinder wichtige Deutschinhalte aus dem Grundschullehrplan wunderbar üben können.
Einige weitere empfehlenswerte Apps für jüngere Kinder (Vorschule bis 2.Klasse): Montessori Vorschule, die kleine Waldfibel, Lernspiele für Kinder – Deutsch, der Elefant, Connie Apps (lesen, Mathe, ABC), KiKANiNCHEN, Fiete Apps, Ida auf heißer Spur, Grundschule Deutsch, die große Wörterfabrik, der Löwe, Emil & Pauline
Und für etwas ältere Kinder (ab 3.Klasse): Lernerfolg Grundschule, WWF Wissen, die drei ???, Sendung mit der Maus, Capt’n Sharky, Findus und Petterson, Mathe-Spiele, Wie funktioniert mein Körper?, Neuneinhalb-die Reporter.
5) Schreiben
Vielen Eltern ist es sehr wichtig, dass ihre Kinder lernen, sich in ihrer Muttersprache schriftlich korrekt und auf gutem Niveau auszudrücken. Schließlich sollen sie im Fall einer Wiedereingliederung ins heimatliche Schulsystem einen möglichst sanften Übergang erleben – und im besten Falle später problemlos in eine deutschsprachige Ausbildung oder ein Studium an einer Hochschule wechseln können.
Der Schriftspracherwerb und die Rechtschreibung stellen für viele Kinder jedoch eine große Herausforderung dar. Dies hängt zum einen damit zusammen, dass man im Deutschen auf die Großschreibung von Nomen achten muss, aber auch damit, dass die Kinder in der Schule jeden Tag für mehrere Stunden mit einem anderen Phonem-Graphem-System arbeiten. Dieses wird dann oft 1:1 auf Deutsch übertragen und die Kinder schreiben „dee Beene“ statt „die Biene“. Solche Fehler bringen mich zum Schmunzeln, denn eigentlich haben die Kinder ja alles richtig gemacht und angewandt, was sie in ihrer Schule gelernt haben. Hilfreich sind hier Differenzierungs-Übungen für die unterschiedlichen Vokalsysteme und Phoneme. Um den Schriftspracherwerb zu unterstützen und richtige Rechtschreibung zu trainieren, können die Kinder auch Wörter aus Einzelbuchstaben zusammen puzzeln oder Lückenwörter, in denen der Vokal fehlt, ergänzen. Mit älteren Kindern kann man Laute und Wörter raten, die man sich gegenseitig Buchstabe für Buchstabe mit dem Finger auf den Rücken „schreibt“. Auch das Durcharbeiten deutschsprachiger Grundschul-Spracharbeitshefte kann helfen, das richtige Schreiben zu fördern. Ein Brief an eine Brieffreundin oder eine Email an die Großeltern sind ebenfalls geeignete und fröhliche Schreibanlässe, durch die sich viel lernen lässt.
Wem dieser Punkt sehr wichtig ist, dem seien auch professionelle Förderprogramme wie das der deutschen Fernschule oder mein eigenes Angebot bei Salingua empfohlen.
6) Sprechendes Vorbild sein
In meinen Deutschklassen habe ich immer wieder Kinder, die fließend Deutsch sprechen, dabei aber Grammatikfehler machen, die sich dann auf geschriebene Texte übertragen. Eines der Hauptprobleme ist dabei die Differenzierung zwischen Nominativ, Akkusativ und Dativ. Da werden den/dem oder in/im verwechselt, falsche Artikel zugeordnet (der Butter), Adjektivendungen weggelassen oder Buchstaben vergessen („annersrum“). Wenn Eltern zu Hause darauf achten, selbst möglichst deutlich und korrekt zu sprechen, lassen sich solche Schwierigkeiten vermeiden. Das soll nun nicht heißen, dass man zu Hause unnatürlich artikulieren muss oder nur Hochdeutsch sprechen darf. Wenn Eltern jedoch bewusst auf deutliche Aussprache achten, genau hinhören, wie das Kind spricht und inkorrekt gesprochene Wörter durch liebevolles, richtiges Nachsprechen korrigieren, ist schon viel gewonnen.
7) Akzeptieren Sie, wenn die Kinder nicht auf Deutsch antworten.
Immer wieder berichten mir entmutigte Eltern, dass sie zu Hause zwar versuchen, Deutsch zu sprechen, die Kinder aber nur in der jeweiligen Landes- oder Schulsprache antworten. Auch bei uns zu Hause war das so. Als Deutschlehrerin war mir Deutsch jedoch sehr wichtig und so habe ich meine Kinder am Anfang immer gebeten, dass sie zu Hause Deutsch reden und mir auch auf Deutsch von ihrem Schultag berichten. Heute denke ich, dass das ein Fehler war, denn es führte sehr schnell dazu, dass den Kindern die Lust am Erzählen verging. Es war ihnen schlicht zu anstrengend, alles zuerst übersetzen zu müssen, was in der Schule auf Englisch passiert war. Zudem fehlten ihnen auch manche Vokabeln. Ich bin deswegen relativ schnell dazu übergegangen, im Familienalltag selber weiter stur auf Deutsch zu sprechen, englische Antworten und Erzählungen aber zu akzeptieren. Auch Denglisch (ein lustiger Mix aus beiden Sprachen in einem Satz) ließ ich durchgehen. Mit Erfolg: Auf diese Weise blieben die Kinder auf lockere und fröhliche Weise und täglich mit der deutschen Sprache „in Kontakt“ und konnten bei Treffen mit Verwandten ohne Probleme auf Deutsch umschalten – und später auch Deutschprüfungen erfolgreich ablegen.
8) Zahlenarbeit
Zahlen richtig sagen zu können, ist im Falle von Deutsch eine besondere Herausforderung, weil wir die Zehner- und Einer-Reihenfolge anders sprechen als viele Fremdsprachen (thirty-two / zwei-unddreißig). Dies führt bei Kindern, die Mathe in einer Fremdsprache lernen, oft zu Verwechslungen. Um die richtige Sprechweise zu üben, eignen sich Sprech-Spiele auf Autofahrten („Wie sagt man 87 oder 627 auf Deutsch?) oder Kartenspiele wie „6 nimmt“ oder „Elferraus“, bei denen die Kinder die gelegte Zahl laut artikulieren.
9) Spielgruppen (vor Ort oder online)
sind eine tolle Möglichkeit für Kinder, Deutsch zu praktizieren und neue Freunde kennenzulernen, die in der gleichen Situation sind. In diesen Gruppen wird ohne Leistungsdruck Deutsch gesprochen und gelacht und die Kinder finden es oft befreiend, wenn sie feststellen, dass es noch andere Kinder (Third Culture Kids) gibt, die mit 2 oder 3 Sprachen aufwachsen und sich in mehreren Kulturen zu Hause fühlen. Auf der Webseite Deutschsalat gibt es einen guten Überblick über die unterschiedlichen Online-Angebote im Netz.
10) Kontakt zu deutschsprachigen Freunden in der Heimat halten
Dies ist im Zeitalter von Zoom und Microsoft-Teams technisch ohne weiteres möglich. Am besten macht man eine regelmäßige Zeit aus, um sich für einen Online Call zu verabreden oder gemeinsam Online-Spiele zu spielen. Im fröhlichen Zusammensein wird die Sprache trainiert und Kontakt zur Heimatkultur gehalten. Im Fachjargon nennt man das eine „intrinsische Motivation“ unterstützen: die Kinder kommunizieren (und üben) gern Deutsch, weil der Austausch und das Spielen mit guten alten Freunden oder Verwandten einfach schön ist.
11) Arbeit mit dem LÜK System
Das Lerne-Übe-Kontrolliere System besteht aus einem Kasten mit 12 (Mini-LÜK) oder 24 (LÜK) Plättchen, zu denen es in Heften Aufgaben gibt, die man lösen muss. Wer alle Aufgaben richtig löst, sieht am Ende bei Drehen des Kastens ein schönes Muster. Wenn im Muster etwas nicht stimmt, können die jeweiligen Plättchen herausgenommen und die Aufgaben nochmal genauer unter die Lupe genommen werden. Die Palette der Aufgabenhefte ist groß: von deutscher Grammatik und Wortschatzübungen über Deutsch als Fremdsprache, Geschichte, Mathe, Sachkunde, logisches Denken, Englisch…..es gibt viele unterschiedliche Trainingshefte, die sich alle mit dem LÜK oder Mini-LÜK-Kasten bearbeiten lassen. Das System wird auch in der Ausleihe vieler Bibliotheken angeboten und ist auf Gebrauchtwarenportalen im Internet erhältlich.
12) Gelassen bleiben und dran bleiben
Sprachen lernen braucht Zeit, Ruhe und Geduld. Eine entspannte, positive Atmosphäre ist dabei das A&O für fröhliches, erfolgreiches Lernen. „Das Gehirn lernt immer, und es tut nichts lieber als das“, sagt Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer, Leiter des Transferzentrums für Neurowissenschaften und Lernen in Ulm. Wenn Eltern also selbst regelmäßig Deutsch mit ihrem Kind kommunizieren, gemeinsam mit ihm Dinge „auf Deutsch“ erleben, immer wieder Bezugspunkte zur Sprache schaffen, indem sie Bücher, Comic-Hefte, Hörspiele u.a. zur Verfügung stellen und Kontakt zu deutschsprachigen Freunden und Verwandten halten, wird das bei den Kindern nicht ohne positive Folgen bleiben.
Garantiert!